Ein bedauerlicher Trend zur Amerikanisierung ...


Ein Interview von Kevin Brennan


Wie würden Sie die grundlegende Lehre und die grundlegenden Prinzipien des Hapkido beschreiben?


„Diese Frage wird mir oft von Leuten gestellt, die Karate, Taekwondo, Kung Fu, Jujutsu oder Aikido etc. trainieren und die wissen wollen, was der Unterschied zwischen Hapkido und anderen Kampfkünsten ist. Denn oberflächlich betrachtet könnte man meinen, beim Hapkido seien Aspekte aller Kampfkünste zusammengewürfelt – es gibt Würfe, Hebel, Tritte, Schläge. Aber wenn man unter die Oberfläche blickt, dann ist die grundlegende Lehre des Hapkido das Prinzip, der Gewalt keinen Widerstand zu leisten. Wenn also der Angriff des Gegners kommt, gehen wir nicht direkt dagegen an. Wir bringen die Energie seines Angriffs mit unserer Technik in Einklang, normalerweise indem wir ausweichen und seine Energie ablenken, um sie so dorthin zu leiten, wo wir sie haben wollen.

Wenn wir Hebel- und Wurftechniken anwenden möchten, weichen wir zunächst aus und wehren ab, um dann zu greifen, zu hebeln und zu werfen. Wenn wir aber nicht hebeln und werfen wollen, weichen wir mit dem ganzen Körper aus und setzen mit einer Schlag-, Tritt- oder Handtechnik zum Gegenangriff an. Das ist nur eine kurze Beschreibung der Möglichkeiten, die wir haben.“



Und gibt es Ähnlichkeiten zwischen den Lehren des Hapkido – der Lehre, keinen Widerstand zu leisten, und der Lehre der Kreisbewegung – und den Grundprinzipien von Aikido und Tai Chi?


„Sehr große Ähnlichkeiten, auch wenn die Kreisbewegung im Hapkido kleiner ist. Die Kreisbewegung im Aikido ist größer; im Jujutsu gibt es sowohl eine große als auch eine kleine Kreisbewegung. Tai Chi fängt mit einem großem Kreis an, der dann kleiner wird. Es gibt also ganz klare Ähnlichkeiten. Allerdings geht Hapkido mit seiner kleineren Kreisbewegung direkter vor. Wir wollen die Bewegung minimieren, um schnell und effizient einen Gegenangriff starten zu können.“



Kritiker sagen, dass dadurch, dass Hapkido Elemente all dieser Kampfkünste kombiniert, der Hapkido Praktizierende riskiert, sich zu verzetteln und am Ende keine dieser Techniken wirklich beherrscht.


„Das Beherrschen einer jeden Kampfkunst braucht viel Zeit – ob bei Kung Fu, Taekwondo, Karate oder jedweder anderen Kampfkunst. Und natürlich werden wir keine Kampfkunst jemals wirklich vollständig beherrschen können ... das Studium einer Kampfkunst ist ein lebenslanger Lernprozess, der nie endet.

Allerdings muss ich dazu bemerken, dass Hapkido alle unnötigen Elemente aus dem Training entfernt. Wir trainieren ausschließlich praktische Selbstverteidigung. Das ist etwas anders als bei manchen anderen Kampfkünsten. Ausschließlich Selbstverteidigung gegen Tritte, Schläge, Griffe und Messer; unbewaffneter Kampf oder als Unbewaffneter gegen einen Bewaffneten oder – als Schwarzgurt - Waffe gegen Waffe. Beim Hapkido geht es im gesamten Training darum, wie man sich gegen verschiedenste mögliche Angriffe verteidigt und Gegenangriffe startet. Man trainiert und trainiert, entwickelt seine Fertigkeiten und erwirbt Selbstvertrauen. Und wenn man dann auf die Straße geht, kann man sich bei Gefahr verteidigen. Natürlich hängt das letztlich vom Einzelnen ab, egal bei welcher Kampfkunst ...

Es wird mir auch häufig die Frage gestellt: Wie ist es möglich, dass der Hapkido-Kämpfer die zuschlagende Hand des Angreifers aus der Luft fangen und einen Hebel ansetzen kann? Nun, diese Technik trainieren wir gegen Schläge, Tritte oder Griffe. Wir lehren und trainieren dies, aber ich betone gegenüber meinen Schülern immer, dass sich die Technik nach der Situation richten soll. Zum Beispiel kann diese Technik im Straßenkampf erfolgreich gegen einen sehr schweren, massiven, durchgezogenen Schlag verwendet werden; der Schwung des Angreifers kann benutzt werden, um eine Hebel- und Wurftechnik anzuwenden. Aber gegen einen Angriff mit einem sehr effizienten, schnellen und kraftvollen Schlag muss man anders vorgehen. Wenn daher der Hapkido-Kämpfer nicht genug Selbstvertrauen hat, um einen Hebel und einen Wurf anzuwenden, kann er einfach ausweichen und mit einem Schlag oder Tritt kontern. Viele scheinen zu glauben, dass Hebel der wichtigste Aspekt des Hapkido sind. Nein! Wir lehren eine ganze Reihe effektiver Techniken, und es ist die Aufgabe des Kämpfers, zu entscheiden, welche in der jeweiligen Situation anzuwenden ist. Die wichtigsten Aspekte des Hapkido sind regelmäßiges und konzentriertes Training - und Timing.“



Wann und warum haben Sie angefangen, Hapkido zu trainieren?


„Begonnen habe ich das Studium der Kampfkünste mit Yudo (koreanischem Judo) an der Yudo University in Seoul, einer Einrichtung vergleichbar mit dem Kodokan in Japan. Ich war damals acht Jahre alt. Sechs Monate später fing ich mit Hapkido an, weil ich nicht besonders groß war – kleiner als der Durchschnitt – und meine Eltern wollten, dass ich eine wirklich effektive Kampfkunst erlerne, mit der ich mich selbst verteidigen kann. Mein Lehrer Il Oung Huh, Leiter des koreanischen Hapkido-Verbandes und Professor für Sportwissenschaften an der Myung Ji Universität in Seoul, war ein enger Freund der Familie. Ich hatte das Glück, zunächst Privatunterricht bei ihm zu bekommen, und habe seitdem mein ganzes Leben trainiert. Seit 1975 lehre ich Hapkido in Australien.“



Soweit ich weiß, gibt es keine vorgegebenen Bewegungsabfolgen (Kata) im „reinen“ Hapkido?


„Das stimmt! Es gibt keine Kata im reinen, modernen Hapkido. Hapkido ist sowieso eine moderner Begriff. Er stammt nicht aus früheren Zeiten: früher gab es in Korea den Begriff „Hapkido“ nicht. Es gab nur individuelle Stile.“


Um kurz von Thema Kata abzuweichen: hat sich der Begriff „Hapkido“ ungefähr um 1945 entwickelt?


„Ja, etwa in der Zeit nach dem Ende der japanischen Besetzung von Korea. Während der 36 Jahre der japanischen Besetzung war es nicht möglich, die koreanischen Kampfkünste öffentlich zu betreiben und für sie zu werben. Aber natürlich haben ernsthafte Praktizierende der koreanischen Kampfkünste im Geheimen weiter trainiert, und nach der Befreiung Koreas blühten all diese Künste auch öffentlich wieder auf. Und so erwachte auch Hapkido, eine ausgeklügelte Kombination verschiedener koreanischer Kampfkünste, wieder zum Leben und erblühte ebenfalls.“


Um nun wieder auf die Kata zurückzukommen: Sie haben doch in Ihren Schulen gewisse Bewegungsabfolgen eingeführt?



„Ja, aber dabei handelt es sich um praktische Übungskata. Keine Kata im traditionellen Sinn, sondern eher so etwas wie Schattenboxen gegen verschiedenste Tritte, Schläge und andere Angriffe. Eine Abfolge von Kombinationen für Gegenangriffe, ausschließlich zum Zweck des praxisbezogenen Trainings, die der Schüler ohne Partner zu Hause üben kann. Sind mittlerweile auch Teil unserer Graduierungsordnung.“



Und das Zerschlagen von Brettern und Ziegelsteinen ist auch Teil der Graduierungsordnung?


„Ja, ab dem Grüngurt. Manche meinen, es ginge dabei nur ums Zerschlagen, aber diese Tests helfen uns bei der Bewertung von Genauigkeit, Kraft, Geschwindigkeit, Kontrolle der Distanz, der Fähigkeit, sich mental und physisch zu konzentrieren ...“


Abgesehen von den körperlichen Anforderungen – welche Eigenschaften fördern und erwarten Sie von Ihren Schwarzgurt-Anwärtern?

„Um den ersten Dan zu erlangen, muss der Bewerber die richtige Einstellung und die nötigen persönlichen Eigenschaften haben. Er oder sie muss generell ein guter Mensch sein. Er muss seit seiner Weißgurt-Phase ‚gewachsen‘ sein, und zwar nicht nur, was die technischen und körperlichen Fähigkeiten anbelangt: er muss in allen Aspekten seines Lebens Fortschritte gemacht haben. Er sollte geduldig sein und wissen, wie man Opfer bringt und wie man sich selbst diszipliniert und kontrolliert. Er sollte eine feste Vorstellung davon haben, was er mit seinem weiteren Leben anfangen will ... nicht nur im Hapkido. Um ihm bei der Entwicklung all dieser Qualitäten beizustehen, haben wir eine provisorische Schwarzgurt-Phase. In dieser Vorbereitungsphase wird der Schwarzgurt-Anwärter genau beobachtet, damit wir beurteilen können, ob er oder sie die benötigten Eigenschaften hat. Wenn der Anwärter die nötigen mentalen Eigenschaften nicht entwickeln kann, wird er nicht graduiert, ungeachtet seiner körperlichen und technischen Fähigkeiten. Dann beobachte ich seine weitere Entwicklung und sein Leben, und wenn ich denke, er ist soweit, kann er es noch einmal versuchen.

Ich halte dies für äußerst wichtig. In vielen Schulen in den Vereinigten Staaten, zum Beispiel, ist diese Qualität des Hapkido abhanden gekommen. Dort zahlen sie einfach die Trainingsgebühren und kaufen die Technik; kaufen den Gürtel. Die ursprüngliche geistige Qualität des Hapkido schwindet – sie wird nicht gelehrt, sie wird nicht vom Master Instructor weitergegeben. Sie scheinen sich dort nur für Techniken zu interessieren ... ‚geheime‘ Techniken oder solche, mit denen man Sieger bleibt ... Trophäen und Ruhm. Es gibt natürlich ein paar Ausnahmen, aber generell ist das die Einstellung in der heutigen amerikanischen Kampfkunstszene. Dieser Weg ist falsch – sie verlieren die essenziellen, traditionellen Werte des Wegs der Kampfkünste.

Und mittlerweile habe ich das Gefühl, dies geschieht auch in Australien. Einige nähern sich zu sehr der Situation, wie sie in Amerika ist ... sie verlieren die geistige Qualität. Es gibt hier immer noch viele Schulen, die qualitativ hochwertige Kampfkunst unterrichten, sowohl geistig wie körperlich. Aber ich spüre einen Trend zur Amerikanisierung, und das bekümmert mich sehr ...“



Wie stehen Sie zur Teilnahme von Hapkido Praktizierenden an Kampfsportveranstaltungen?


„Ich bin nicht wirklich interessiert an der Wettkampfszene, aber einige meiner Schüler nehmen gerne an Wettkämpfen teil. Der Wettbewerb als solcher interessiert mich nicht, aber ich befürworte solche Veranstaltungen als ein Mittel, Schüler verschiedener Kampfkünste zusammenzubringen, sich kennenzulernen und die freundschaftlichen Beziehungen zu fördern. Ich halte das für eine gute Idee. Aber ich bin gegen die Betonung von Sieg und ‚Ruhm‘. Meiner Auffassung nach ist das Entscheidende für einen wahren Sieger nicht der Sieg über andere, sondern der über sich selber. Das ist ein alter Ausspruch, aber ich halte ihn für absolut wahr.“



Was ist mit der Veranstaltungsreihe von Halbkontakt-Wettkämpfen, für die Sie geworben haben ...?

„Das habe ich mittlerweile auf Eis gelegt. Aber mein hauptsächliches Anliegen dabei war, die Kameradschaft und Freundschaft zwischen den einzelnen Schulen und Stilen zu fördern. Die Schüler kamen zusammen, lernten sich kennen, konnten sich in einer positiven Atmosphäre einfach einmal ausprobieren – aber sich nicht zu sehr mit Gewinnen oder Verlieren beschäftigen. Das ist nicht so wichtig.“



Was halten Sie von der Qualität der australischen Hapkido-Szene im Allgemeinen?

„Nun, über andere Hapkido-Schulen und –Stile in Australien kann ich nichts sagen, aber ich bin sehr zufrieden mit der Qualität in unserer Organisation. Ich lade jeden Lehrer oder Schüler anderer Kampfkünste ein, unseren Schwarzgurt-Prüfungen beizuwohnen, so dass sie sich ein eigenes Urteil bilden können. Sie brauchen nur unsere Hauptgeschäftsstelle anzurufen und zu fragen, wann die Prüfungen stattfinden, und sind dann herzlich eingeladen, dabei zu sein.“


Ist Ihre Schule wirklich „International“, oder heißt sie nur so?

„Definitiv international. Wir haben gutgehende Zweigstellen in Großbritannien, schließen uns gerade mit dem Hapkido-Verband Singapur zusammen, wir haben eine Zweigstelle in Uruguay in Südamerika, und nächstes Jahr werde ich in die USA fahren, um auch dort weiter am Aufbau einer Weltorganisation zu arbeiten. Auch gibt es beim koreanischen Hapkido-Verband derzeit Überlegungen, mich zum internationalen Koordinator des Verbandes zu ernennen; ich kann in einer ganzen Reihe von Ländern dazu beitragen, Hapkido zu fördern, da ich Englisch, Spanisch und Koreanisch spreche.

Ich komme gerade von einer PR-Tour in England und Singapur. Dort habe ich reines Hapkido demonstriert und erläutert und eine Reihe von Trainerseminaren abgehalten. Mehrere örtliche Hapkido-Vereine – Mitglieder des International Hapkido College – hatten mich nach Großbritannien eingeladen. Nach Singapur kam ich auf Einladung der Flying Eagle Hapkido Association und der Police Boys Clubs Association. Dort gab ich Seminare für Schwarzgurte und eine öffentliche Vorführung, über die im landesweiten Fernsehen und in der Singapore Straits Times (einer Zeitung) berichtet wurde. Auch in Großbritannien gab es Berichte in Zeitungen und Kampfkunstpublikationen.

Auf dem Weg nach England besuchte ich Meister Bong Soo Han (den Star aus ‚Billy Jack‘ und anderen Actionfilmen) in Los Angeles. Er zeigte mir sein Dojo und erzählte mir, was er tut, um Hapkido in den USA voranzubringen. Meister Bong Soo Han ist mittlerweile 55, aber er ist noch immer sehr beweglich und sehr stark. Er trainiert jeden Tag Kraft und Beweglichkeit, unterweist seine Schwarzgurt-Schüler und gibt ein paar Berühmtheiten aus Hollywood und dem Showbusiness Privatunterricht. Er wird Anfang nächsten Jahres nach Australien kommen und ein paar Seminare geben.“



Wie schätzen Sie die Zukunft der Kampfkünste in Australien ein?

„Nun, die australische Kampfkunstszene hat sich in den letzten zehn Jahren sehr verändert – sie hat sich enorm ausgeweitet. Und es gibt heute ein besseres Verständnis der Kampfkünste in der Öffentlichkeit. Man begreift, dass es nicht nur um körperliche Fähigkeiten und Geschicklichkeit im Kampf geht oder darum, Bretter und Ziegelsteine zu zerschlagen, sondern dass es tiefere, geistige Aspekte gibt. Natürlich ist auch das generelle technische Niveau der Kampfkünste im Lauf der Jahre gestiegen.

Ich glaube, die Zukunft sieht für alle Kampfkünste in Australien, und ganz besonders für Hapkido, wirklich vielversprechend aus. Ich glaube, die meisten Kampfkünstler haben mittlerweile eine recht genaue Vorstellung davon, was Hapkido ist, aber die breite Öffentlichkeit – so sie überhaupt schon von Hapkido gehört hat – denkt normalerweise, es handle sich um Karate.

Ich werde auch weiterhin einen großen Teil meiner Zeit und Energie dem Ziel widmen, diese irrige Annahme zu korrigieren und die Öffentlichkeit über unsere Kunst aufzuklären. Ich bin der Überzeugung, dass Hapkido eine große Zukunft vor sich hat, hier in Australien und auf der ganzen Welt ...“